Zunge, Zähne, Zuckertee – Kieferorthopädische Prophylaxe

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Bisher galten die prophylaktischen Maßnahmen für Säuglinge und Kleinkinder auf zahnärztlichem Gebiet fast ausschließlich der Vermeidung von Karies als Bestandteile der Vorsorgeuntersuchungen in kinderärztlicher Hand.
Fluoridanwendung, Zahnpflegehinweise und Ernährungsberatung waren und sind nach wie vor die Themen für diesbezügliche Aufklärung und Prävention.
Während man sich also schon lange und auch erfolgreich bemüht, die Karies durch individuelle Beratung und Gruppenprophylaxe einzudämmen, findet eine systematische Vorsorge zur Vermeidung von Kieferdeformierungen und
Zahnstellungsanomalien bisher kaum im Ansatz statt.
Bürokratische, praxisferne Bestimmungen und fehlende Honorierung haben dazu geführt, dass eine kieferorthopädische Prävention auch in zahnärztlichen Praxen selten geworden, fast verkümmert ist und Wissen verloren ging, obwohl
die Behandlungsbedürftigkeit ständig zugenommen hat.
Das ist leider auch ein Beleg dafür, wie sehr Gesetze, Verträge und Gebührenordnungen ärztliches Handeln zwangsläufig beeinflussen und notwendige Entwicklungen behindern.

Wir postulieren: Prophylaxe von Anfang an!

Als Kieferorthopädin bedauere ich, dass die erste Früherkennungsuntersuchung durch Zahnärzte erst im Alter von drei Jahren erfolgen soll (wenn das Milchgebiss vollständig ist), obwohl für die Gebiss- und Kieferentwicklung die präventive Weichenstellung viel früher erfolgen müsste.
Wir Kieferorthopäden sind deshalb auf die Hilfe der Kinderärzte angewiesen, wenn es um Prophylaxe und Früherkennung geht. Das bedeutet aber auch, dass wir vermehrt das Gespräch mit Kinderärzten suchen, unser Anliegen
verdeutlichen und uns als geeignete fachliche Partner erweisen müssen.
Ich möchte mit meinem Vortrag Verständnis wecken und Anregungen geben, was Prophylaxe von Geburt an für die Mundgesundheit bewirken kann und wo und wie Eltern und Kindern therapeutische Hilfe zu vermitteln ist. Vor allem
aber, wie notwendig Aufklärung und wie groß unsere Mitverantwortung ist. Es liegt also an uns, Wissen aufzufrischen.
Auch zahnärztliche Publikationen haben hier Defizite. Bei den Vorsorgeempfehlungen für 0-4-jährige steht absolut die Karies im Vordergrund.

Zwar werden Habits kurz erwähnt, wie gravierend sie aber die Kiefer- und Gebissentwicklung und manchmal das ganze Leben beeinflussen können, darüber findet sich ebenso wenig wie über diesbezügliche Diagnostik und Therapie.

Nur etwa 50 % aller Anomalien sind schicksalhaft angeboren oder ererbt. In 10 % der Fälle ist die Ursache nicht eindeutig zuzuordnen. Aber 40 % aller Anomalien der Kiefer- und Zahnstellung sind erworben, d.h. sie sind durch Fehlverhalten entstanden und können durch Aufklärung und Verhaltensänderung beeinflusst werden. Häufig ist die Karies schuld, dass die Platzhalterfunktion der Milchzähne nicht erfüllt wird. Umso erfreulicher ist es, dass heute der überwiegende Anteil der
Schulanfänger kariesfreie Gebisse aufweist. Deshalb will ich mich auf die Habits, also schädliche Gewohnheiten, konzentrieren, die ständig zunehmen, was wohl mit dem sich ändernden Lebensumfeld für Kinder und Familien zusammenhängt. Die Mundhöhle ist auch ein Ausdrucksfeld psychosozialer Störungen (Kleinfamilien, Einzelkinder mit arbeitenden Eltern, Ehekonflikte und Scheidungen, überforderte alleinerziehende Elternteile). Die häufigsten Habits
sind Lutschgewohnheiten im weitesten Sinne und die Mundatmung. Die Prophylaxe beider Habits ist am erfolgreichsten, wenn sie ganz früh einsetzt, vor allem zuerst einmal in den Köpfen von uns allen.
Erinnern wir uns: Da der Gesichtsschädel mit Ober- und Unterkiefer bei der Geburt in seiner Entwicklung gegenüber dem Hirnschädel zurückliegt (die Natur hat hier bei begrenztem Geburtskanal Prioritäten gesetzt), beginnt sein Wachstum vermehrt postnatal. Der Oberkiefer wächst in den Knochennähten, der Sutura palatina, also in der Mitte, und im Molarenbereich. Der Unterkiefer wächst vornehmlich über An- und Abbauvorgänge im aufsteigenden Ast, im
Kieferwinkel und im Kiefergelenk, natürlich sollte dieses Wachstum möglichst ungestört sein. Das beginnt z.B. schon bei der Schlaflagerung des Säuglings, am besten flach in Rückenlage.

Mütter, die ihr Kind stillen, wechseln die Brust und damit halten sie ihr Kind einmal rechts, einmal links im Arm. Mütter, die das Fläschchen geben,wechseln nicht. Auch hier kann bereits der frühe Ansatz für Kiefergelenks- und Gesichtsasymmetrien gelegt werden. Man sollte Mütter darauf aufmerksam machen.
Der Saugreflex ist dem Baby angeboren und die Lust am Saugen und ein Lutschbedürfnis bleiben oft bis zur Schulzeit erhalten. Das Bedarfsstillen kommt in den ersten Lebensmonaten diesem Bedürfnis mehr entgegen als das Intervallstillen, und erübrigt eher Ersatzbefriedigung mit Daumen oder Fingern.

Beginnt der Säugling am Däumchen zu lutschen, ist es besser, einen Nuckel anzubieten. Dieses Nuckeln wird nachweislich früher vom Kind aufgegeben als Daumenlutschen. Der Saugreflex wird durch den Kaureflex abgelöst, wenn die Zähnchen kommen. Vielleicht kennen Sie den Beißring, früher war es die Veilchenwurzel, die man dem Baby gab. Wichtig ist es, den Saugreflex nicht künstlich zu verlängern. Ab dem siebten bis achten Monat, dem Beginn des Zahndurchbruchs, sollte das Fläschchen allmählich dem Trinklernbecher weichen und der Schnuller abgewöhnt werden. Schließlich wird ja auch
zunehmend auf festere Nahrung übergegangen und die Kautätigkeit angeregt.

Ob Daumen, Sauger oder Nuckel, jeder Fremdkörper, zwischen den Zähnen stört und beeinflusst das myofunktionelle Gleichgewicht. Ob es dabei zu Kieferdeformierungen kommt, hängt von der Disposition, der Intensität, also Zeit- und Krafteinwirkung, und vom Lutschgegenstand ab.

 

Beim Nuckel ist zwar das Gewicht gering, aber das Luftpolster wirkt auf die durchbrechenden Frontzähne wie eine Intrusionsfeder, behindert ihren Durchbruch und auch das Wachstum des Alveolarfortsatzes. Es entsteht ein offener Biss. Beim Daumenlutschen ist die Hebelwirkung deutlich größer, Alveolarfortsatz und obere Zähne werden protrudiert, die unteren Zähne nach innen, lingual gedrückt, es entsteht ein Frontzahnstufe. Sie wird zusätzlich verstärkt, wenn das dem Kinn aufliegende Fäustchen das physiologische Mesialwachstum, bei der Geburt liegt ja der Unterkiefer noch zurück, behindert.

Schon beim Kleinkind kann man Kiefergelenk-Auffälligkeiten wie Knacken und abnorme Beweglichkeit vorfinden. Durch einen Lutschgegenstand werden die Kiefer gesperrt, die Orientierung zueinander geht verloren. Für die im Verlauf
der ersten Dentition durchbrechenden Milchzähne sind aber die approximalen und antagonistischen Zahnflächen zur Ausbildung der Zahnreihen, der Okklusion und der Gelenkführung ganz wichtig. Was nützen 20 kariesfreie Milchzähne, wenn sie nicht zusammenpassen und als Gebiss funktionieren?
Kreuzbisse im Milchgebiss, Nonokklusionen und mandibuläre Verlagerungen finden sich häufig im bleibenden Gebiss wieder und auch Arthropatien (Kiefergelenkserkrankungen) nehmen so ihren Anfang. Muskelfunktionen passen sich zwangsläufig den Malokklusionen an. Es entstehen Spannungszustände, die zu Parafunktionen, zu Knirschen und Abschleifen der
Zähne verführen. Im ersten Lebensjahr, also der Säuglingszeit, ist die schädliche Wirkung von Habits unerheblich. Aber wie bei allen Gewohnheiten wird es, je länger, desto schwerer, sie abzustellen Das gilt besonders für die falsche Zungenlage als Folge langandauernder und intensiver Lutschgewohnheiten. Normalerweise verlagert sich die Zunge mit fortschreitendem Zahndurchbruch und Absetzen von Stillen und Flaschenfütterung nachdorsal und cranial und nimmt in der Ruhelage ihren Platz am Gaumen ein. Bei Lutsch- und Saughabits bleibt die Zunge sichtbar vorn. Außerdem wird die Zunge durch den Lutschkörper nach unten gedrückt, anstatt im Gaumen zu liegen, Wachstumsdruck auf den Oberkiefer auszuüben, das Gaumengewölbe zu formen und den Zahnbogen zu erweitern.

Die Verdrängung der Zunge in den Unterkiefer bewirkt häufig eine falsche Zungenfunktion: das „infantile“, sogenannte „viscerale“, Schluckmuster mit Stoßen gegen die Frontzähne bleibt erhalten und wird nicht durch das somatische“ Schlucken mit Zungendruck gegen den Gaumen abgelöst.

Die Diagnose kann man stellen, indem man das Kind beim Schluckakt beobachtet. Man sieht, dass sich die Zunge zwischen die Zahnreihen presst.

Außerdem sind ausgeprägte Rugae, also starke quere Gaumenfalten und ein extrem schmaler Oberkiefer, ein Zeichen dafür, dass die Zunge nicht dem Gaumen anliegt.

Kieferorthopäden und später Zahnärzte haben mit diesen Patienten ihre liebe
Not:

Die falsche Zungenfunktion ist Ursache für kieferorthopädische Rezidive,
z. B. beim offenen Biss oder der Oberkiefer verengt sich nach transversaler Dehnung wieder, weil die Zunge das Gaumendach nicht ausfüllt. Die Front wird wieder eng, d.h. auch der Frontzahnengstand rezidiviert.

Die Folgen parodontaler Insuffizienz werden verstärkt; besonders Frauen sind unglücklich, weil sie plötzlich mit 40 Jahren das wandern ihrer Frontzähne und Lücken- bildung beobachten.

Prothesenträger hebeln ihren Zahnersatz ab.

Auch Logopäden sind meistens machtlos, wenn das infantile Schluckmuster über Jahre besteht. Denn natürlich werden auch die Lautbildung und Sprachentwicklung gestört. Die Zahl der Kinder, mit verzögerter Sprachentwicklung hat sich in den vergangenen 20 Jahren versechsfacht.

Lispeln und Babysprache sind vielleicht bei Kleinkindern niedlich, bei größeren leider ein Grund zum Hänseln. Das stärkt nicht gerade das Selbstbewusstsein eines Kindes.

Wie können wir helfen?
Fangen wir bei den Eltern an. Vielfach ist es ja Gedankenlosigkeit, mangelndes Wissen und natürlich auch Bequemlichkeit und geschickte Reklame, dass Plastikfläschchen und Nuckel als selbstverständliches Zubehör in Bettchen,
Kinderwagen und Laufställchen ständig verfügbar sind.

Die Bezeichnung „Beruhigungssauger“ suggeriert etwas Positives. Immer verfügbare Sauger an hübschen Kettchen, die unkontrolliert stundenlang, auch tagsüber, im Mund sind, sogar Leuchtschnuller, die nachts im Dunkeln schnell wieder in den Mund gestopft werden können, sind heute leider die Regel.

Häufig ist zu beobachten, wie hellwachen, interessierten Kleinkindern, die eigentlich völlig zufrieden sind, der Nuckel aufgedrängt wird, als wenn der Stöpsel in das Gesicht gehört – Schnuller als life-style Attribut.

Wir müssen Eltern und Geschwister aufklären, dass die Nuckelzeit beim Baby begrenzt, der Schnuller z.B. nach dem Einschlafen wieder aus dem Mund gezogen werden sollte (früher gab es Wiegenlieder!). Es gibt zwar Schnuller für

Ein-, Zwei- und Dreijährige, Eltern sollten aber wissen, dass sie ihrem Kleinkind damit nichts Gutes tun. Dieser Lebensabschnitt ist prägend und unwiederbringlich für die Sprachentwicklung da, für verbale Anregung und
Beschäftigung, für Zuwendung und nicht für künstliche Ruhigstellung.
Über das Nursing-bottle-Syndrom, also die Babyfläschchenkaries, muss angesichts der vielen Plastikfläschchen in Kinderhänden ebenfalls weiter aufgeklärt werden. Bilder zerstörter Milchzähne werden Ihnen leider nicht fremd sein.

Ich möchte aber auf die unteren erhaltenen Frontzähne aufmerksam machen, die dem Säureangriff am längsten widerstehen. Die Puffer- und Remineralisationswirkung des Speichels wird hier ganz deutlich. Die Zähne
profitieren vom unverdünnten Sekret der unmittelbar dahinter liegenden sublingualen Speicheldrüsen. Nächtliches Trinken oder Stillen nach dem Zahndurchbruch ist deshalb besonders kritisch zu sehen, weil der Speichelfluss nachts stark eingeschränkt ist.

Ob Tee, Saft oder Wasser, verdünnter Speichel ist unwirksamer. Deshalb gehören Plastikfläschchen nicht zur ständigen Bedienung in Kinderhände.

Neuere Untersuchungen von Prof. Wetzel in Gießen warnen übrigens vor den beliebten Eistees als Kindergetränk, da sie viel Zitronensäure enthalten. Es zeichnet sich bereits eine neue Karieswelle ab, da aus Bequemlichkeit Schnabelbecher und Fläschchen von Kleinkindern weiterbenutzt werden, statt normal aus Tassen oder Bechern zu trinken.

Oft hängen Eltern so an ihrem Baby, dass sie Babyverhalten und Babysprache konservieren wollen und dadurch unbewusst die Entwicklung hemmen. Oder ältere Geschwister fangen wieder an zu nuckeln und Fläschchen zu saugen,
weil sie auch so beachtet werden wollen wie der Neuankömmling. Gerade zu diesen Verhaltensfehlern ist das persönliche Gespräch notwendig, da es Einblick in Familienverhältnisse gibt. So erkennt man, ob ein Habit nur eine Angewohnheit ist, die einfach abzustellen wäre oder ob tiefere Ursachen dahinterstecken.

Nuckeln und Saugen sind, wie wir wissen, häufig die sprachlosen Bitten um Liebe, Zärtlichkeit und Zuwendung. Auch größere Kinder äußern sich leider so und finden keinen sprachlichen Ausdruck. Nicht befriedigte seelische
Bedürfnisse werden dann durch materielle Befriedigung kompensiert. Wer schon früh die Erfahrung macht, bei jeder Unlustäußerung etwas in den Mund gestopft zu bekommen, wird sich an diese Form der Tröstung gewöhnen. Es
beginnt eine Fehlsteuerung, die sogar zu Suchtverhalten (sich selbst etwas Gutes tun) führen kann. (Süßigkeiten, Nikotin, Alkohol)

Beim Abgewöhnen von Nuckeln, Saugern oder Daumen sollte man in diesen Fällen besonders behutsam vorgehen. Meistens sind es ja dieselben milieubedingten Ursachen, die wir auch bei Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko finden. Nicht selten werden seelische Spannung und körperliche Unruhe ein leben lang über den Mund abgeleitet und als Lippensaugen und –beißen, Nägel- und Bleistiftkauen als Parafunktion der Zunge, als Pressen und Knirschen ins Erwachsenenalter mitgenommen.

Wie kann man in einfachen Gewohnheitsfällen den Schnuller abgewöhnen? Wenn man sich umhört, erfährt man allerhand:

Da gibt es die mutige aufgeklärte Mutter, die ihr sieben Monate altes Kind einfach schreien lässt, aber alle fünf Minuten ans Bettchen geht, damit sich das Kind nicht verlassen fühlt. Am ersten Abend dauerte das Schreien eine Stunde,
am zweiten Abend nur noch fünf Minuten, bis Ruhe war. Also ein schlaues Kind. Oder mal probieren, den Nuckel unattraktiv zu machen: Den Nuckel durchstechen, dann ist im Wortsinn schon mal die Luft raus. Wenn man ihn dann noch wöchentlich um 1mm mit der Schere kappt, hält er irgendwann nicht mehr und wird freiwillig aufgegeben. Oder das auf den Daumennagel gemalte Gesicht: Der kleine Däumling fürchtet sich im nassen dunklen Mund und will nicht mehr hineingesteckt werden. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Größeren Kindern kann man ein Tauschgeschäft anbieten: Eine Vorhofplatte gegen den Schnuller, der Übergang ist dann leichter. Eine Andere Idee: Mutter und Kind verpacken den Nuckel wunderschön mit selbstausgesuchtem Papier und Zierband und bringen ihn als Päckchen zur Post (wo man natürlich eine Komplizin hinter dem Schalter gefunden hat). Es gibt ja so viele ganz kleine arme Babys, die keinen Nuckel haben und sich ganz doll über das Geschenk freuen. Wichtig ist immer, das Kind mit einem verständlichen Motiv für die freiwillige Aufgabe der Gewohnheit zu begeistern und dafür zu belohnen. Das gilt ganz besonders für Daumenlutscher. Erfahrungsgemäß sind sie erst im Alter von fünf bis sechs Jahren Vernunftgründen zugänglich. Man sollte vorsichtig eruieren, ob das Kind wirklich bereit ist, vielleicht lieber noch etwas
zu warten, um ihm die Erfahrung des Versagens zu ersparen. Aber ein hübscher Lutschkalender, vor allem aber ein kleines Fest, wenn das Lutschen vorbei ist, sind ein großer Anreiz für ein jetzt so gescheites Kind!

(Wie wird der Papa sich freuen, wenn er abends heimkommt und sein Liebling hat versprochen, ab heute nicht mehr zu lutschen.)

Diese Anstrengung ist ähnlich groß wie beim Abgewöhnen von Rauchen, das Lob muss entsprechend ausfallen.

Ich möchte auf eine zweite Angewohnheit kommen, ein Habit, das verbreitet ist und die kindliche Entwicklung erheblich stört, nämlich die Mundatmung. In fast allen Fällen liegt kein organischer Grund vor, sondern es ist nur eine unbewusste Fehlhaltung mit schlaffen Lippen (als ob die motorische Leitung zum Gehirn noch nicht gebahnt ist). Bei geöffnetem Mund liegt die Zunge im Unterkiefer.

Je nach Schädelaufbau und Wachstumsrichtung kann ein Wachstumsvorsprung des Unterkiefers in Richtung progene Entwicklung resultieren oder der Unterkiefer hängt schlaff nach hinten und begünstigt die Entstehung einer Unterkiefer-Rücklage. Hier hilft nur das Bewusstmachen.

Wahrscheinlich sagen nicht mehr viele Eltern, wie noch zu uns: “Sitz gerade!“, „Heb die Füße!“, „Mach den Mund zu!“. Sicher sitzen viel zu viele Kinder mit staunend geöffnetem Mund vor dem Fernseher genauso wie im Kindergarten,
wenn die nette Helferin etwas erzählt. Eltern sind oft betriebsblind, wenn sie gefragt werden, ob ihr Kind durch die Nase oder den Mund atmet. Eher wissen sie schon, ob das Kopfkissen vollgesabbert ist. Verklebte Nasenlöcher sind genauso sichere Anzeichen wie auch Rhaghaden in den Mundwinkeln oder ein besonders schmaler Kiefer. Nicht jeder Mundatmer muss gleich zum HNO-Arzt.

Lassen Sie das Kind einen Schluck Wasser in den Mund nehmen und tun Sie das gleiche, dann sieht es spielerisch aus. Wetten Sie, wer das Wasser länger im Mund behalten kann. Bevor ein Kind erstickt, wird es das Wasser schlucken
oder ausspucken. Wahrscheinlich aber bekommt es Luft durch die Nase und hat nur vergessen, dass und wozu sie auch da ist: Zum Atmen und dabei die Luft zu filtern, zu regulieren und zu erwärmen. Viele Erkältungskrankheiten könnten durch Einüben der Nasenatmung und des Mundschlusses vermieden werden. Schmatzen beim Essen hörte auf und vielleicht danken es später die Ehepartner, wenn sie nicht durch Schnarchen gestört werden.

Jeder von uns hat schon die Erfahrung gemacht, wie elend man sich fühlt, wenn man durch Schnupfen keine Luft durch die Nase kriegt.
Es gibt Kinder, die haben Nasenatmung nie kennengelernt, habituelle Mundatmer, und es gibt wissenschaftliche Untersuchungen die signifikante Entwicklungshemmungen bei diesen Kindern belegen.

Auch Zahnfleischentzündungen durch Austrocknen der Schleimhaut mit vermehrter Plaque und Karies sind Folgen der Mundatmung. Im Übrigen werden viel zu oft adenoide Wucherungen, Polypen und Mandeln operiert, ohne anschleißend den Mundschluss und Nasenatmung einzuüben. Der Nutzen dieser belastenden Prozedur ist, wenn nicht zweifelhaft, so zumindest geschmälert.

Wie kann man Lippentonus und Mundschluss trainieren und das myofunktionelle, also das muskuläre Gleichgewicht zwischen Wangen, Lippen und Zunge herstellen?

Erst einmal durch Bewusstmachen – es gibt ja Spiegel – und dann so, wie jeder Muskel aktiviert wird, durch Übungen. Ein probates Hilfsmittel sind wieder Mundvorhofplatten. Es gibt differenzierte Formen zur Anwendung bei Neutralbisslage, Unterkieferrücklage und zusätzlich zum Abschirmen der Zunge. Ihre Indikation, Anwendung und Überwachung muss individuell und regelmäßig, wie bei einem Kfo-Gerät auch, erfolgen. Ein Kind soll in dieser Phase begleitet und behütet werden. Es muss spüren, wie wichtig uns der Mundschluss ist, um die Übungen selbst ernst zu nehmen.

Ich darf auch an ganz einfache Knopfübungen erinnern, die man in der Gruppe oder mit Geschwistern durchführen kann, Sie dürfen mich gern danach fragen.

Eigentlich könnte man die Kfo-Prophylaxe neben der Kariesprophylaxe in zwei

Sätze fassen:

Nichts zwischen Kiefer und Zähne stecken, was nicht hingehört

Und Mund zu !

Kindern dazu zu verhelfen, ist eine wirklich lohnende Aufgabe und ein längst fälliger Schritt nach den Erfolgen in der Kariesprophylaxe.

Man sieht nur, was man weiß! Die folgenden Bilder dienen zur Illustration und Anregung darüber nachzudenken, ob wir nicht viel früher kritisch hinschauen und helfen müssen.

Schlussbemerkung:

Alle diese Kinder haben ihre Habits beibehalten. Eine normale Ausformung der Zahnreihen konnte nicht stattfinden.

Dieses Plakat hing vor 5 Jahren an jedem Bahnhof

– Geschlossen mangels Liebe -.

Der Mund beherbergt eben nicht nur unsere Kauwerkzeuge sondern ermöglicht uns durch die Sprache unseren Platz in der menschlichen Gemeinschaft zu finden. Durch den Mund schütten wir unser Herz aus und äußern Liebe und Zärtlichkeit. Mehr noch als unsere Augen prägt der Mund unseren Gesichtsausdruck. Uns sind junge Menschen anvertraut, deshalb muss ein Arzt immer auch Erzieher sein. Oft scheint es ein mühseliges und vergebliches Unterfangen. Aber uns bleibt die Hoffnung, dass sie es eines Tages begreifen und danken.

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